Für mich ist dies ein Schlüsselsatz zum Verständnis, für den Anderen und für mich selbst.
Bedürfnisse sind universell. Jeder hat sie und wir alle haben Bedürfnisse. Zum Beispiel wünscht sich der Eine mehr Freiheit und der Andere mehr Geborgenheit. Der Eine hätte gern mehr Nähe, der Andere mehr Distanz. Weitere Bedürfnisse sind z.B. Ernährung, Sicherheit, Ruhe, Erholung, Empathie, Autonomie, Gesundheit, Kreativität usw.
Bedürfnisse hängen eng mit unseren Gefühlen zusammen. Wird ein Bedürfnis erfüllt, gibt uns das ein gutes Gefühl, wie z.B. Freude, Zufriedenheit oder Entspannung. Wird es nicht erfüllt haben wir schlechte Gefühle, wie z.B. Wut, Trauer, Enttäuschung….
Soweit die Theorie, bei der jeder wohl mitgehen kann.
Wenn ich nun mit Patient:innen aneinandergerate, weil diese vielleicht ungeduldig auf einen Brief/Verbandwechsel/BZ Messung warten, kann ich mich fragen, welche Bedürfnisse bei ihnen nicht erfüllt sind: nach Beachtung, Respekt oder Sicherheit? Ich kann mich auch fragen, welche Bedürfnisse bei mir im Argen liegen: Respekt, Empathie oder Erholung, die schon lange zu kurz kommen?
Natürlich kann ich auch denken „So ein Idiot, der:die nervt“ oder „was bin ich für eine blöde Pflegekraft, dass ich immer genervt reagiere“. Dieses Denken passiert fast automatisch in einigen Köpfen, aber es bringt niemanden weiter, sondern macht nur schlechte Laune.
Die meisten von uns arbeiten, weil sie einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, weil sie Geld/Wohlstand verdienen wollen, weil ihnen Kontakt wichtig ist oder…. welches Bedürfnis erfüllt die Arbeit bei dir? Natürlich kommen bei der Arbeit andere Bedürfnisse zu kurz und wollen in der Freizeit erfüllt werden, wie z.B. Bewegung/ Sport, Ruhe, Erholung, Schlaf, Kreativität, Intimität…. Was ist dir besonders wichtig?
Unsere Patient:innen haben im Krankenhaus nicht viele Möglichkeiten, sich um die Erfüllung ihrer grundlegenden Wünsche zu kümmern. Sie sind oft auf die Pflege angewiesen und müssen Abstriche machen. Deshalb möchte ich für verständnisvollen Umgang plädieren und Mut machen, diese unerfüllten Bedürfnisse bei Patient:innen und Angehörigen anzusprechen. Gerade durch das Ansprechen werden diese Bedürfnisse anerkannt. Und dadurch, dass der:die Einzelne sich umfassend wahrgenommen fühlt, tritt oft schon Entspannung ein.
In der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg geht es sehr viel um Gefühle und Bedürfnisse. Das Wissen darum kann bei vielen Konflikten und Auseinandersetzungen sehr hilfreich sein. Egal ob es zwischen Kolleg:innen, in der Familie, mit Freunden oder mit Patient:innen angewandt wird. Ich möchte jeden einladen, diese Form des Kontaktes auszuprobieren. Sich selbst und anderen gegenüber. Liebevoller kann man mit Menschen kaum umgehen.
Helgard Ehlers– Gesundheits-und Krankenpflegerin, Neurologie/ Epileptologie am AGAPLESION Diakonieklinikum Rotenburg
Dr. Marshall B. Rosenberg (1933-2015) war Doktor der Klinischen Psychologie und Begründer der „Gewaltfreien Kommunikation“. Er vertrat die Meinung, dass Gewalt entsteht, wenn Grundbedürfnisse der Menschen nicht erfüllt werden und das unabhängig von sozialer Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter und/oder Bildungsstand. Er setzte sich innerhalb seiner Theorie und Forschung für einen Bewusstseinswandel bei Menschen ein und war überzeugt davon, dass dieser Wandel zu mehr Gelassenheit und Frieden auf der Welt führen könnte.
Literaturtipp:
Marshall B. Rosenberg- Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens, Paderborn 2016, Junfermann Verlag