Wahrscheinlich kennt jeder, der mit Medizin was zu tun hat die Ausdrücke Compliance und Adhärenz. Doch was ist der Unterschied oder gibt es überhaupt einen? Wann ist ein Mensch compliant oder wann ist er adhärent?
Der in der Medizin gebräuchliche Begriff der Compliance spricht lt. Gray, et al. (2002) den Umstand an, dass für die Heilung vieler Krankheiten ein kooperatives Verhalten des Patienten/Patientin vorausgesetzt wird. Diese Definition kann als Therapietreue im Sinne von: „Der/Die Patient:in tut, was der Arzt von ihr/ihm verlangt.“ ausgelegt werden.
Somit liegt die Verantwortung für das Scheitern eines Planes einseitig bei den Patient:innen und der Aspekt der gemeinsamen Entscheidungsfindung findet nahezu nicht statt. Es gibt Situationen, wie z.B. in einem medizinischen Notfall oder einem operativen Eingriff, wo diese Art der Compliance von Vorteil sein kann, um in kurzer Zeit eine zielführende Behandlung durchzuführen.
Bei der Adhärenz steht die aktive Zusammenarbeit von Arzt/Ärztin und Patient:in im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung und Vereinbarung der Therapieziele im Vordergrund. Die aktiv befragte Meinung der Patient:innen wird bei der Planung der Behandlung mitberücksichtigt. In einem ausführlichen Gespräch zwischen der behandelnden Person und den Patient:innen werden mögliche Probleme, welche der Therapie entgegenstehen könnten, gemeinsam erarbeitet. Der/Die Patient:in erhält Unterstützung bei der selbstständigen Entwicklung ihrer/seiner persönlichen Ressourcen, was am Ende bestmöglich zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung führt.
Lt. der WHO (2003) beschreibt die Adhärenz den Grad, in dem das Verhalten einer Person, z.B. bei Medikamenteneinnahme, Einhaltung einer Diät und/oder Änderung von Lebensgewohnheiten mit abgesprochenen Empfehlungen der Gesundheitsexperten korrespondiert.
In einigen wissenschaftlichen Studien wurde belegt, dass die Adhärenz, also der Grad der Einhaltung und die Umsetzung von therapeutischen Vorgaben, bei Menschen mit chronischen Erkrankungen, bei ca. 50 % liegt. Was aber nicht heißen soll, das nur chronisch Kranke nicht adhärent sind. Nahezu jeder Mensch weiß aus seinen persönlichen Erfahrungen, wie schwierig es ist, einer Therapieempfehlung bedingungslos nachzukommen. Gerade der Faktor Zeit stellt häufig eine Herausforderung dar, denn:
Wer stellt sich z.B. am freien Wochenende, wenn er ausschlafen kann den Wecker, damit er seine Tablette zum gleichen Zeitpunkt einnehmen kann, wie die Tage zuvor?
Oder wie ist es mit der häufig eingeschränkten Mobilität und Infrastruktur in ländlichen Regionen?
Gibt es überhaupt eine erreichbare Apotheke in der Nähe und wie komme ich dort hin?
Es gibt unzählige übergeordnete Faktoren, die für das Gelingen einer Therapie ausschlaggebend sein können. Diese werden grob in sechs Gruppen eingeteilt:
- Krankheitsbezogene Faktoren: z.B. fehlende Kenntnisse über Krankheit und Behandlung.
- Behandlungsbezogene Faktoren: z.B. unbeabsichtigte Nebenwirkungen, Darreichungsform, fehlende Zufriedenheit.
- Auf den Verordnenden bezogene Faktoren: z.B. mangelnde Zusammenarbeit, Nicht-Erklären, Autoritäres Verhalten.
- Personenbezogene Faktoren: z.B. vergessen der Medikamenteneinnahme, Schlechte Motivation, Verunsicherung.
- Umgebungsbezogene Faktoren: z.B. die Sicht der Familie auf die Behandlung, Zugang zu alternativen Behandlungen, Unterstützung durch die Familie.
- Kulturelle Faktoren: z.B. ethnischer Hintergrund, Religion, familiäre Einflüsse.
Zur Förderung der Adhärenz, im Besonderen im psychiatrischen Setting, ist die aus dem Englischen stammende Adherence-Therapie entwickelt worden. Sie gibt den Pflegenden, nach einer speziellen Schulung, ein Werkzeug an die Hand, um therapeutische Interventionen zur Steigerung der Adhärenz anwenden zu können. Zur Anwendung kommen Elemente des Motivational Interviewing (MI), der Verhaltenstherapie (Cognitive Behavioral Therapy – CBT) und der Compliance Therapie.
Für uns Pflegenden bedeutet es, dass wir Patient:innen mit ihren Sorgen und Nöten in Bezug auf die Therapie ernst nehmen und ihnen jegliche Art von Unterstützung geben, die für die Einhaltung der Adhärenz notwendig sind. Mit unserem Fachwissen haben wir die Kompetenz, sie zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, zum Experten ihrer Erkrankung zu werden.
Quelle: www.dv-adherence.de , Adherence – Therapie, Manual Version 1.21, Ein Handbuch für Professionelle in Psychiatrischen Einrichtungen, Richard Gray und Deborah Robson, Hrsg. Michael Schulz & Michael Löhr, (Bielefeld/Gütersloh, 2011).
Holger Greßmann- Fachpfleger für Psychiatrie, Praxisanleiter und Adherence Therapeut im Zentrum für Psychosoziale Medizin am Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg / Wümme
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